Volksabstimmungen werden bisher in Deutschland nur auf Länder- und Kommunalebene durchgeführt. Auf Bundesebene haben Bürgerinnen und Bürger bislang – außer durch das Wählen von Volksvertretern – keinen direkten Einfluss auf die Entscheidungen der Politik.
Der Verein Abstimmung21 will das ändern und hat deswegen eine erste bundesweite Volksabstimmung in Eigenregie durchgeführt, deren Ergebnis am Tag der Bundestagswahl 2021 veröffentlicht wird. Lisa Straka, Pressesprecherin der Initiative, beantwortet im Interview mit bundestagswahl-2021.de Fragen zu Organisation und Ablauf und erklärt, welches Ziel mit der Abstimmung verfolgt wird.
Der Verein Abstimmung21 setzt sich für bundesweite Volksabstimmungen ein. Auf wessen Initiative hin kam es zur Gründung des Vereins?
Die Idee, die erste bundesweite Volksabstimmung einfach selbst in Eigenregie durchzuführen, kam von Olaf Seeling, dem heutigen Geschäftsführer von Abstimmung21. Nach Jahrzehnten, in denen sich trotz des immensen Engagements verschiedener Demokratie-Organisationen kaum Veränderungen in Sachen bundesweite Volksabstimmung abzeichneten, brauchte es eine neue Herangehensweise. Wir wollten nicht länger auf die Politik warten und nahmen die Durchführung selbst in die Hand.
Wie lange haben Sie für die Vorbereitung der ersten bundesweiten Volksabstimmung gebraucht?
Die Idee zur ersten bundesweiten Volksabstimmung war im Jahr 2018 geboren. Danach dauerte es zwei Jahre bis zur Durchführung einer Probe-Volksabstimmung 2020 in Hamburg Ottensen und Wedel. Da wir mit der Idee demokratisches Neuland erkunden, war es uns wichtig, im Kleinen einmal das auszuprobieren, was wir nun im Großen stattfinden lassen. Von der Idee der bundesweiten ersten Volksabstimmung bis zu ihrer Durchführung haben wir uns insgesamt drei Jahre Zeit für KampagnenPlanung, Themenfindung, Probe-Volksabstimmung und die Vorbereitung der bundesweiten Volksabstimmung genommen.
Wie viel Geld hat die Durchführung insgesamt gekostet und wurde alles aus Spenden finanziert?
Die bisherige Summe, die wir für die Durchführung aufgebracht haben, liegt bei 900.000 Euro. Alles wurde aus Spenden finanziert. Rund 85 Prozent Kleinspenden mit einem Spendendurchschnitt von 12 Euro und rund 15 Prozent Spenden, die größer als 500 Euro sind. Zurzeit erarbeiten wir einen Transparenzbericht, in dem dann nochmal Details nachgelesen werden können.
Werbung
Wie viele Menschen haben an der Abstimmung teilgenommen?
Seit dem Beginn der Aktion haben sich 344.556 Menschen für die Abstimmung angemeldet. Wie viele tatsächlich auch abgestimmt und ihren Stimmzettel wieder zu uns zurückgesendet haben, wissen wir selbst erst in den nächsten Wochen.
Wie kamen die Themen zustande, über die abgestimmt werden konnte?
Die beiden gesundheitspolitischen Themen wurden über die Petitionsplattformen Change.org und openPetition ermittelt. Es gab ein zweimonatiges Zeitfenster, in dem die Menschen Themen für die Abstimmung vorschlagen konnten. Insgesamt wurden über 500 Petitionen zur Wahl gestellt und über 500.000 Menschen haben die Petitionen gezeichnet. Am Ende wurde dann über die Themen auf der jeweiligen Plattform abgestimmt. Die Mehrheit bei openPetition sprach sich für keine Profite mit Krankenhäusern aus. Bei Change.org war es die Widerspruchsregelung bei der Organspende.
Die Themen Klimawende 1,5 Grad und bundesweite Volksabstimmung haben wir von Beginn an selbst gesetzt. Die Klimakrise stellt eine der größten Herausforderungen unserer Zeit dar. Wir alle, nicht nur die Politik, sind aufgefordert, Stellung zu beziehen. Wir wollen, dass die Menschen über die richtungsweisende Klimafrage diskutieren und über einen breit getragenen, ausformulierten Klimaplan abstimmen können.
Die vierte und letzte Abstimmungsfrage betrifft den Klimaschutz
Wir von Abstimmung21 sowie unsere Bündnisorganisationen (Anm. d. Red.: Damit sind Mehr Demokratie, OMNIBUS für Direkte Demokratie und Democracy International gemeint) wollen zeigen, dass die Volksabstimmung auf Bundesebene mit den Mitteln des Staates umsetzbar ist. Wir zeigen, wie es gehen kann. Unseren Einsatz für die Volksabstimmung möchten wir deshalb auch den Menschen zur Abstimmung stellen.
Wird das Ergebnis der Volksabstimmung, das am Tag der Bundestagswahl bekannt gegeben wird, Ihrer Meinung nach Auswirkungen auf die neue Regierung oder den Bundestag haben?
Ein zentraler Teil unserer Kampagne ist es, die Abstimmungsergebnisse in den politischen Prozess einzubringen. Die Abstimmung selbst ist ein starkes Zeichen für gelebte Demokratie und für die Mündigkeit von uns Bürgerinnen und Bürgern. Wir sind dazu bereit, uns in die bundespolitischen Sachfragen einzubringen. Wir werden uns so lange auf den von uns erbrachten Beweis berufen, dass Volksabstimmungen auf der Bundesebene möglich sind und dies, wenn es sein muss, gerne regelmäßig wieder unter Beweis stellen, bis Regierung und Bundestag nicht mehr an der bundesweiten Volksabstimmung vorbeikommen.
Abstimmung21 kann und soll nicht nur ein Signal für das Instrument der Volksabstimmung sein, sondern auch den einzelnen Abstimmungsthemen eine starke Stimme im politischen Berlin geben. Je näher die Beteiligung bei Abstimmung21 an der Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl liegt, desto größer werden auch Legitimität und Verbindlichkeit der Abstimmungsergebnisse. Wenn viele Menschen nicht nur den neuen Bundestag wählen, sondern auch über selbst organisierte bundesweite Volksabstimmungen über ein Thema abstimmen, dann bekommt die Bundesregierung einen klaren Handlungsauftrag. Kurz gesagt, die Wirksamkeit von bundesweiten Volksabstimmungen steht und fällt folglich mit der tatsächlichen Abstimmungsbeteiligung. Für uns ist klar, dass es weitergehen wird.
Wieso braucht Deutschland mehr direkte Demokratie auf Bundesebene?
Unsere Gesellschaft steht vor großen sozialen und ökologischen Herausforderungen. Diese lassen sich am besten mit den Bürgerinnen und Bürgern zusammen meistern. Mit der direkten Demokratie hat die Zivilgesellschaft die Möglichkeit, ihre Ideen und Konzepte zur Abstimmung zu bringen. Das stärkt das Vertrauen auf den eigenen Einfluss und in die Demokratie und ermöglicht eine aktive, selbstbestimmte Haltung zur Demokratie als solche.
Gleichzeitig wird die Distanz zwischen der parlamentarischen Demokratie und den Bürgerinnen und Bürgern in anregender Form verringert. Volksinitiativen stoßen das Gespräch in unserer Gesellschaft an, sie zeigen der Politik, wo dringender Handlungsbedarf besteht. In 16 Bundesländern ergänzt die direkte Demokratie auf Kommunal- und Landesebene die repräsentative Demokratie. Dieses Vorgehen hat sich bewährt.
Deutschland ist das einzige Land in der Europäischen Union, das seit Ende des 2. Weltkrieges auf der Bundesebene noch nie eine Volksabstimmung erlebt hat. Es gibt keinen schlüssigen Grund, den Menschen dieses Recht auf Mitbestimmung vorzuenthalten. Zusammen kommen wir zu mutigeren Entscheidungen als dies für die Gewählten allein möglich ist. Dieses gemeinschaftliche Vorgehen wird beispielsweise in der Lösung der Klimakrise entscheidend sein. Ideen aus der Bevölkerung sind entscheidende Quellen der Erneuerung. Dafür ist es nötig, dass alle direkt mitentscheiden können. Wir sind die Gestalterinnen und Gestalter der Gesellschaft. Das Bewusstsein dafür wächst mit der direkten Demokratie.
Werbung
Sollte es in Deutschland eine direkte Demokratie wie in der Schweiz geben?
Die direkte Demokratie in der Schweiz mag grundsätzlich ein Vorbild sein, an entscheidenden Punkten ist sie es aber nicht und daher nicht 1:1 auf Deutschland übertragbar. Wir favorisieren, anders als in der Schweiz, ein dreistufiges Modell der direkten Demokratie auf Länder- und Bundesebene: Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid.
Nach der Initiative ist die Möglichkeit einer juristischen Prüfung vorgesehen. Das Bundesverfassungsgericht kann so die Vereinbarkeit eines Gesetzentwurfs mit dem Grundgesetz und dem Völkerrecht prüfen und die Initiative nicht zulassen, wenn Grund- und Minderheitenrechte angegriffen würden.
In der Schweiz ist eine umfassende Vorab-Prüfung nicht vorgesehen. Auch hat die Schweiz kein eigenes Verfassungsgericht, um Abstimmungstexte auf ihre gesetzliche Zulässigkeit zu prüfen. Von der Bevölkerung beschlossene Gesetze können in der Schweiz erst im Nachhinein vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht werden, der dann prüft, ob sie der Menschenrechtskonvention entsprechen.
Was entgegnen Sie Menschen, die Großbritannien als Negativbeispiel für Volksabstimmungen anführen?
Der Brexit eignet sich nicht als Beispiel für die direkte Demokratie in Deutschland. Er wurde von der britischen Regierung angesetzt und von den Parteien als populistische Kampagne verfremdet. Außerdem gab es keine neutrale Abstimmungsvorlage und keine ausgewogenen Informationen über die Vor- und Nachteile des Brexits. Zudem ist es beispielsweise in der Schweiz üblich, dass über internationale Verträge zweimal abgestimmt wird, einmal am Anfang der Verhandlungen und einmal am Ende, wenn alle Vertragsdetails auf dem Tisch liegen.
Wird es im kommenden Jahr eine weitere Abstimmung geben?
Mit der Abstimmung in diesem Jahr konnten wir beweisen, dass in Deutschland eine bundesweite Volksabstimmung möglich ist. Diese Erfahrung gilt es, jetzt auszubauen und zu vertiefen. Daher gehen wir davon aus, dass es auch im kommenden Jahr wieder eine Volksabstimmung geben wird, zu der sich Interessierte bereits jetzt schon anmelden können.
Das Interview führte Jana Freiberger.
Lesen Sie auch:
Werbung